Joker (2019)
12. Oktober 2019 - André Hecker | 🕑 3 Minuten

TitelJoker
Originaltitel  ⠀  ⠀ Joker
Jahr2019
LandUSA, Kanada
GenreCrime, Drama, Thriller
VerleihWarner Bros.
RegieTodd Phillips
DarstellerJoaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy, Brett Cullen
Laufzeit122 Minuten
FSKab 16 Jahren
LinksIMDb, OFDb, Letterboxd


Schon oft wurde sie verfilmt, die Abwärtsspirale eines Menschen, der keinen Sinn mehr in allem sieht und die Gewalt als endgültige Lösung aller Probleme sieht. Von der Gesellschaft an- und ausgespuckt, von allen belächelt, verhöhnt und getreten, entsteht eine mentale und soziale Dissonanz zum Leben und sich selbst. Diese Schablone des Storytellings legt Todd Phillips jetzt auf die Origin-Story des Jokers.

Arthur Fleck ist eine entrückte Figur. Ein Mensch, der den Wandel der Welt um sich herum nicht mehr verstehen will. Die Welt ist wahnsinnig geworden. Die Menschen werden immer verrückter. Dabei möchte er doch selbst nur ein wenig Anerkennung und Zuspruch erhalten. Doch Arthur Fleck ist auch ein Soziopath. Jemand, der Realität, Wunschdenken und Fiktion zunehmend weniger unterscheiden kann. Der andere Menschen verfolgt und stalkt. Der Ablehnung in Verachtung kanalisiert. Jemand, der so viel schlucken musste, dass das Fass übergelaufen ist. Die Transformation vom armen Opfer hin zu psychotischen Mörder geschieht dabei fließend. Wie ein Befreiungsschlag wird der erste Gewaltakt im Film für die Figur inszeniert. Der finale Schritt eines vor dem Abgrund stehenden Mannes.

Joker wählt den wahrscheinlichsten Weg für seinen Charakteraufbau. In dieser Form schon dutzende Male gesehen, überrascht die Geschichte zu keinem Zeitpunkt und inszeniert Stilsicher, aber vorhersehbar einen menschlichen Kollaps. Falsche Fährten werden mehr oder minder in der gleichen Minute schon wieder aufgedeckt und ohnehin bedient sich Joker viel zu sehr der Exposition. Bei all der Tragik, die der Film für Arthur aufbringen möchte, vergisst Phillips die Emotionen auch einfach mal wirken zu lassen. Die ausgeworfenen Köder, die Spannung und Ungewissheit erzeugen könnten, holt er viel zu schnell wieder ein. Man muss sich in diese Figur nicht hineindenken, denn sie wird einem auf dem Silbertablett präsentiert und dem Zuschauer somit Möglichkeiten zum hinterfragen genommen.

Arthur Fleck ist der Welt überdrüssig. © Warner Bros.

Die Figur Arthur Fleck kann froh sein, dass sie von einem Ausnahmetalent wie Joaquin Phoenix verkörpert wird. Sein körperbetontes, bestialisches, gekrümmtes und gepeinigtes Spiel spottet jeder Beschreibung. Er trägt diesen Film vollständig auf seinen knochigen Schultern und gibt der Figur noch viel mehr Dimensionen, als das Drehbuch eigentlich vorschreibt. Das rettet vieles, aber eben auch nicht alles. Inszenatorisch leiten Bildkomposition und Score Phoenix Spiel weiter und liefern wunderschöne, düstere Bilder. Dröhnend, dreckig und chaotisch wird Gotham als Metropole in der Krise manifestiert. Würde der Name der Stadt nicht erwähnt, könnte es aber auch jede beliebige real existierende darstellen. Die weiteren im Film untergebrachten Verweise auf das Batman-Universum wirken allerdings wie Fremdkörper, die ursprünglich nie im Drehbuch standen. Sie wirken aufgesetzt und würde man sie weg lassen, würde das rein gar nichts am Film ändern. Aber es ist ja immer noch ein Origin-Movie.

Hinter seiner Maske sieht sich Arthur als Gewinner. © Warner Bros.

Was Moral, Gewalt und Botschaft des Films angeht, kann ich über die medialen Diskussionen nur den Kopf schütteln. Joker hat zwei, drei Gewalteruptionen. Sie werden impulsiv, ohne Ankündigung und sehr grafisch inszeniert. Es sind Spitzen, die genau so schnell verpuffen, wie sie passieren. Für einen Kino-Blockbuster ist die brachiale Inszenierung sicherlich unüblich. Weshalb Joker hier aber solche Diskussionen auslöst, kann ich nur damit beantworten, dass die meisten Zuschauer und sicherlich auch Kritiker sonst weniger über den Film-Tellerrand blicken. Gerade im Genre-Kino ist in den letzten fünf Jahren deutlich radikaleres gezeigt worden und ich spreche hier nicht von B-Movie-Splatterfilmen. Die Gewalt in Joker ist immer Kontext bezogen und dient nie der plakativen Zurschaustellung. Ein weitere Aspekt, der gegen den Skandal spricht.

Moralisch ist Joker natürlich gewollt provokativ. Ein psychisch Kranker Mann übt Gewalt aus und der Film inszeniert ist als heroischen Akt, der ihm ein persönliches Hoch verschafft, welches er sonst im Leben nie hatte. Auf der anderen Seite demontiert Phillips diese Agenda mit sehr auffälliger Bildsprache und Wink mit dem Zaunpfahl, wo wir wieder bei den Ködern wären. Und zuletzt ist Joker nun mal auch nicht der erste Film, der mit einer solchen Botschaft spielt. Wenn wir bei Joker also eine Diskussion zulassen, ob Filme wie dieser reale Gewalt fördern und als Medium gefährlich sind, dann müssen wir auch die erneut entflammte Diskussion um Killerspiele im Jahr 2019 wieder durchgehen lassen. Und zu guter letzt sprechen wir hier immer noch vom Aufbau des Jokers. Einem psychopatischen Massenmörder, der seine Grausamkeit in der Comic-Welt immer und immer wieder bewiesen hat. Also worüber diskutieren wir hier eigentlich?

Fazit

Joker wird viel heißer gekocht als gegessen und das tut diesem Werk am Ende überhaupt nicht gut. Inszenatorisch absolut sauber, liefert der Film eine wunderschöne Tristesse, untermalt dies mit vereinnahmender, manchmal etwas überdimensionierter Musik und verkauft einen glaubhaften Spielplatz für seine Aufstände. Phoenix als Leitfigur macht sämtliche andere Charaktere und somit Darsteller im Film überflüssig und legt eine desillusionierte Meisterleistung hin. Das alles kann aber nicht über das extrem simpel gestrickte und teils stümperhaft ködernde Drehbuch hinweg täuschen, welches der Figur Arthur Fleck schon beinahe alles vorweg nimmt, bevor sie überhaupt ihr Potential ausgespielt hat. Weniger plakative Einfältigkeit und mehr Fingerspitzengefühl sowie Fokus im Momentum hätten Wunder bewirken können.